Ich bin Wissenschaftlerin in der ersten Postdoc-Phase, die Promotion ist etwa 2 Jahre her. Seit etwa 1,5 Jahren versuche ich, schwanger zu werden (bisher ohne medizinische Unterstützung in einer Kinderwunschklinik). Diese Situation bedeutet ganz generell eine Menge emotionaler und zwischenmenschlicher Belastungen, die schwer auszuhalten sind, aber um diese Belastungen soll es im Folgenden nicht gehen. Stattdessen möchte ich die vielen professionellen Konflikte, die der unerfüllte Kinderwunsch mit sich bringt und die schwer auszuhandeln und zu navigieren sind, darstellen. Diese betreffen ganz besonders die Ambitionen und Pläne in der Post-Doc-Phase.
Ich erlebe die Postdoc-Phase als die Zeit der wissenschaftlichen Eigenständigkeit und Freiheit: Eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten ohne direkte Betreuung ist möglich, die wissenschaftlichen Projekte werden größer und ambitionierter, neue berufliche Meilensteine wie Drittmittelanträge werden angestrebt, die Einbindung in berufliche Netzwerke und Forschungskooperationen steigt, und dementsprechend beispielsweise die Möglichkeiten (und Verpflichtungen) zu Reisen und Konferenzbesuchen. Auch eröffnen sich neue Möglichkeiten und Erwartungen in der Mitarbeit in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung. Ich empfinde diese Phase als sehr schön und bereichernd, ich genieße die neuen Möglichkeiten und freue mich über die neuen Aufgaben. Gleichzeitig sind all diesen Aufgaben und Aktivitäten sehr schwer vereinbar mit Kinderwunsch – hier ein paar Beispiele:
- Eine Kollegin plant gerade ein neues Forschungsprojekt und möchte mich in die Konzeption und Datenanalyse involvieren. – Soll ich ihr zusagen und mich damit für 1,5 Jahre oder mehr verpflichten? Würde ich sie hängen lassen, wenn ich in der Zeit wegen Schwangerschaft und/oder Elternzeit ausfallen würde?
- Ein Call für eine thematisch super passende Konferenz in ungefähr einem Jahr ist raus. Mir fallen spontan fünf weitere Leute ein, die sicher gerne hingehen würden. – Ist es den Aufwand wert, dafür ein Symposium zu organisieren, wenn ich nicht absehen kann, ob ich die Konferenz überhaupt besuchen kann, weil ich schwanger sein oder gerade ein Kind bekommen haben könnte? Wenn ich abwarte, bis ich zumindest einen Mutterschutz zu diesem Zeitpunkt ausschließen kann, ist die Frist abgelaufen.
- Die Gremien an unserer Fakultät werden bald neu besetzt und ich habe wirklich Lust, an der akademischen Selbstverwaltung mitzuwirken (vor allem in den Gremien, die die Promotion ihrer Mitglieder voraussetzen). – Was passiert, wenn ich in meiner 2-jährigen Amtszeit schwanger werde? Wer übernimmt Veränderungs- und Entwicklungsprozesse, die ich dort gerne anstoßen möchte?
- Meine Arbeitsgruppenleitung motiviert mich dazu, bei der DFG den ersten Drittmittelantrag zu stellen. Ich überschlage, dass ich für das Konzipieren und Schreiben mindestens vier Monate brauchen werde, und dass für die Begutachtung sicherlich 9 Monate drauf gehen werden. Wenn alles so geht, wie ich es mir privat wünsche, habe ich zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ein Baby und kann mir gar nicht vorstellen, wie lange ich Elternzeit nehme, in welchem Umfang ich danach wieder mit der Arbeit beginne, und welche körperlichen (Schwangerschaft + Rückbildung, Stillen, Schlafmangel) und mentalen (neue Aufgabe, andere Prioritäten, Schlafmangel) Kapazitäten ich überhaupt haben werde. Ist das die Situation, in der ich mit einem ambitionierten Forschungsprojekt anfangen möchte, das mit relativ viel Zeitdruck und der Betreuung einer Promotion einhergeht, für die ich auch als verlässliche Ansprechperson zur Verfügung stehen will?
Das Wissenschaftssystem neigt zu langen Warte- und Projektlaufzeiten. Wenn ich Chancen ergreifen möchte und besonders die typischen Meilensteine der Postdoc-Phase erreichen möchte, muss ich viel in Anträge und Planungen investieren und danach großes zeitliches Commitment aufbringen. Diese Anforderungen kollidieren mit der Unvorhersehbarkeit von Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt und junger Elternschaft. Anfangs war mein Handlungsimpuls, mich bei vielen Möglichkeiten zurückzuhalten, damit ich die Arbeit nicht umsonst mache, wenn ich die Möglichkeiten am Ende nicht ergreifen könnte, oder um meine Kolleg:innen vor den Herausforderungen eines eventuellen Ausfalls meinerseits zu bewahren. Je länger ich aber auf eine Schwangerschaft warte, desto unbefriedigender wird diese Lösung und desto mehr stellt sich das Gefühl ein, etwas zu verpassen. Dennoch bringe ich es nur schwer über das Herz, einfach ohne Rücksicht auf mögliche zukünftige Entwicklungen mein Leben in der Wissenschaft zu planen, meinen Kolleg:innen Zusagen zu geben oder die Verantwortung von Anleitung und Gremienarbeit anzunehmen. Das gibt mir das Gefühl, verantwortungslos und unverlässlich zu agieren (schließlich ist Schwangerschaft keine unvorhersehbare Krankheit und ja sehr gewünscht, aber furchtbar unkontrollierbar). Zeitgleich ist da das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, meine wissenschaftliche (und biologische) Uhr tickt also, sodass ein Abwarten oder Später-Machen absolut fatal für die Karrierechancen wäre. Das Thema „Was würde passieren, wenn Du schwanger würdest (oder aus einem anderen Grund ausfallen würdest)?“ wird mir gegenüber eigentlich nie thematisiert – nicht in meiner Arbeitsgruppe, nicht in meinen Forschungskollaborationen, nicht in Ausschreibungen für Forschungsförderung. Zumindest in der Gremienarbeit in der akademischen Selbstverwaltung gäbe es Vertretungen für meine Funktion. Diese Einflüsse machen eine ohnehin schon emotional und manchmal auch in der Partnerschaft belastende Situation noch schwieriger, und hinterlassen eine schwierig zu vereinbare Ambivalenz aus professioneller Ambition („Hoffentlich geht der Drittmittelantrag durch!“) und persönlicher Hoffnung („Hoffentlich wird der SChwangerschaftstest diesen Monat positiv!“). Selbst der fragende Blick von Teammitgliedern auf mein alkoholfreies Bier beim Absacker nach der Arbeit wird irgendwann nervig.
Ich finde dieses Thema unglaublich schwer bei Kolleg:innen oder Vorgesetzten anzusprechen, und würde mir oft Erfahrungen und Perspektiven anderer Frauen wünschen, die dieselbe Situation erleben oder erlebt haben. Auch würde ich mir wünschen, dass Möglichkeiten für Vertretungen und Pausen viel mehr mitgedacht, kommuniziert und strukturell verankert werden würden im Wissenschaftssystem – sei es in wissenschaftlichen Kooperationen, Review-Prozessen, bei Förderungsanträgen, beim kurzfristigen Stornieren von Konferenzteilnahmen, oder in persönlichen Entwicklungsgesprächen mit Vorgesetzten. Aus Angst, dass das Aussprechen meines Kinderwunschs, von Pausierungsmöglichkeiten oder möglichen Abwesenheiten in der Zukunft schon vor der Schwangerschaft meiner Karriere schaden, spreche ich die Situation nicht offen an. Meine derzeitige Lösung ist, einfach im Job alles zu machen, worauf ich Lust habe, aber vor allem Sachen, die nicht besonders zeitsensitiv sind und bei denen andere Personen sich nicht zu sehr auf mich verlassen müssen. Das nimmt zwar einen Teil des Spaßes und der Attraktion des Jobs, führt aber dazu, dass ich mich nicht mehr eingefroren fühle in einer Situation des unwissenden Verharrens zwischen Karrierechancen und persönlichen Familienwünschen. Es hilft nur Warten, Hoffen, und Weitermachen.
Genauso gab es aber Phasen, in denen ich Prioritäten zwischen Habil und Kinderwunsch setzen musste, weil beides zu viel gewesen wäre – oder mein Körper das für mich tat. Gerade in den Zeiten, in denen ich den Kinderwunsch an erste Stelle gestellt habe, war dieses Nicht-Darübersprechenkönnen unglaublich belastend. Kolleg*innen konnte ich Schreibkrisen erklären, aber ich konnte nicht erklären, dass ich nicht vorankam, weil ich permanent müde von den Hormonen, den ständigen Arztterminen und der emotionalen Achterbahnfahrt war. Gleichzeitig sind diese Überlegungen ebenso Ausdruck meines eigenen, vom System genährten schlechten Gewissens, dass ich etwas anderem mehr Raum gab als der Habil. Habilschreiben und der Versuch schwanger zu werden war für mich ein ständiger Balanceakt, ein permanentes Abwägen der Prioritäten und der eigenen Ressourcen, ein Aushandlungsprozess mit mir selbst, bei dem ich meist einen Teil von mir zurückstellen musste.
Während ich immer irgendwo in mir wusste, dass ich die Habil fertig schreiben würde, weiß ich bis heute nicht, ob ich Mutter sein werde. Was bin ich also? Ich bin keine Mutter, aber ich bin auch nicht nur Wissenschaftlerin. Ich bin Wissenschaftlerin mit einem Kinderwunsch, die als solche gesehen werden möchte. Ich wünsche mir eine Wissenschaft, in der es allen möglich ist, wenn sie dies denn wollen, sich als Menschen zu zeigen und sich nicht ausschließlich über den Beruf zu definieren. Eine Wissenschaft, in der sie als solche gesehen und akzeptiert werden und sie nicht schweigen müssen, um sich selbst zu schützen. Eine Wissenschaft, in der es normal ist, dass es ein Leben jenseits des Berufes und diesr nicht als angebliche Berufung und Erfüllung verklärt wird, so dass alles andere oft als Schwäche und Karrierenachteil angesehen wird. Dann hätte auch dieses Thema vielleicht mehr Raum und der Weg wäre nicht so einsam.