„Das waren Jahre ohne Pause / … / Und eigentlich weiß ich genau, was ich brauche / ne Pause“ – Eines Morgens hörte ich diese Liedzeilen von AnnenMayKantereit im Radio. Es war einer dieser Momente, in dem ein Satz den Nagel auf den Kopf trifft. Jahre mit kleinen Kindern sind Jahre ohne Pause – zumindest sobald die Elternzeit vorbei ist. Seitdem versuche ich, allem gerecht zu werden: den Bedürfnissen meiner Kinder, meiner Arbeit, meiner Familie. Das funktioniert oft ganz gut – bis eine:r krank wird. Also, vor allem eines der Kinder. Denn seitdem ich Kinder habe, werde ich nicht mehr krank. Zumindest offiziell. Inoffiziell werde ich andauernd krank, denn Kinderkrankheiten haben es in sich. Abgesehen von Magen-Darm-Infekten, die wirklich jeden in die Knie zwingen, ist es nie so schlimm, dass ich es nicht mit Ibuprofen, Sinupret extract, Aspirin Komplex und wie sie alle heißen in den Griff kriegen könnte. Um weiter zu funktionieren, und das heißt eben auch: Um weiterzuarbeiten. Denn in der Wissenschaft ist das so: Wenn ich meine Forschung nicht mache, macht sie keine:r. Keine:r vertritt meine Arbeit. Wenn ich ausfalle, bleibt alles einfach nur liegen. Gremien können vielleicht nicht stattfinden, weil sie durch mein Fehlen nicht beschlussfähig sind. Lehre ausfallen lassen? Findet mein Arbeitgeber auch nicht fein. Es folgt eine Tortur an Nachholterminen, Studierende, die ihre Referate verschieben müssen; Meetings, die ich nacharbeiten muss. Fristverlängerungen, die ich beantragen und neu terminieren muss. Andere Termine, die dann nicht mehr hinhauen. Noch mehr Arbeit, die sich anhäuft. Babysitter:innen, die ich organisieren muss. Krank zu arbeiten ist da quasi das kleinere Übel. Als ich vor einem Jahr mit Grippe beim Hausarzt saß, durfte ich mir ein „Naja, aber es gibt wirklich Leute, denen es noch schlechter geht als Ihnen“ anhören. Meine Frage nach der Krankschreibung fühlte sich an wie das Erschleichen einer nicht verdienten Belohnung. Ich denke, ich brauche ‘ne Pause. Aber warum fällt es mir so schwer, mir diese Pause zu nehmen? Zu sagen: „Ich bin krank, ich kann nicht.”? Warum mache ich das viel zu selten? Woran kann das liegen?
- Habe ich überzogene Erwartungen an mich? Als vollzeitberufstätige Mutter mit drei Kindern haut mich so schnell nichts um, vor allem nicht „das bisschen Schnupfen“?
- Nehme ich meinen Beruf zu wichtig? Ich bin Psychologin, aber nicht so eine, die mit ihrer Arbeit Leben rettet.
- Hatte ich falsche Vorbilder? Ich erinnere mich, wie frühere Vorgesetzte Prüfungen mit Schüttelfrost und Fieber abnahmen und gleichzeitig stoisch jede Medizin verweigerten.
- Lag es am Arbeitsethos im Team? Kolleg:innen mit Hals- und Gliederschmerzen im Nachbarbüro, die meinten, dass „diese Analyse dennoch unbedingt heute noch“ passieren müsse, weswegen sie sich krank an die Uni schleppten.
- Liegt es an den vielen befristeten Verträgen, die ich über Jahre hatte – in denen jeder Tag zählt, und krank sein vor allem der eigenen Karriere schadet? Hat mich das blind und taub gegenüber meinen eigenen Bedürfnissen gemacht?
- Habe ich den letzten Rest Bedürfnisbewusstsein für meine Kinder aufgegeben, weil ich meine Bedürfnisse denen meiner Kinder unterordne (zumindest fast alle, denn an meinem Bedürfnis nach einer eigenen Karriere halte ich ja allen Widrigkeiten zum Trotz fest)?
Ich weiß es nicht. Vielleicht sind alle diese Faktoren (und noch mehr Unerkannte) alle ein bisschen wahr und dafür mitverantwortlich, dass ich mich nicht krank melde. Inzwischen habe ich eine unbefristete Stelle, das entschärft den Zeitdruck als Faktor. Und ich bin älter, was mir hilft, Dinge besser einzuordnen. Keine Vorlesung ist so wichtig, dass sie nicht auch einfach ausfallen kann, schließlich mache ich die Klausur und lege fest, was prüfungsrelevant ist. Und ich habe doch auch eine Vorbildfunktion gegenüber allen, die mit mir im Team arbeiten? Nach bedürfnisorientierter Erziehung ist es nun vielleicht an der Zeit für eine Trendwende hin zum bedürfnisorientieren Arbeitsethos, wo Krankmeldungen nicht als Makel, als Fehlen, als Enttäuschung, sondern als Zeichen zur Erhaltung der (individuellen und teambasierten) Arbeitskraft gelten.